Paris – Brest - Paris 2003

Erlebnisbericht von Dieter Koletzki

Als fleißiger Leser der Zeitschrift ,,Tour’’ verfolgte ich ’99 einen Bericht über Paris-Brest-Paris. Ich war fasziniert von den Teilnehmern, die solche Strapazen auf sich nehmen. Eine Radtour von 1225 km ist schließlich kein Pappenstiel. Ich konnte nicht begreifen, was einen Radfahrer bewegt, eine solche Herausforderung in Angriff zu nehmen.

Wie alles begann... 

Als fleißiger Leser der Zeitschrift ,,Tour’’ verfolgte ich ’99 einen Bericht über Paris-Brest-Paris. Ich war fasziniert von den Teilnehmern, die solche Strapazen auf sich nehmen. Eine Radtour von 1225 km ist schließlich kein Pappenstiel. Ich konnte nicht begreifen, was einen Radfahrer bewegt, eine solche Herausforderung in Angriff zu nehmen. 
2001 lernte ich durch Zufall über einen Arbeitskollegen einen Teilnehmer von PBP ’99 bei einer RTF in St. Wendel ,,Rund um den Potzberg’’ kennen. An der Kontrollstelle in Herchweiler-Pettersheim unterhielt ich mich mit Hermann Kuhn aus Oberthal. Ab diesem Zeitpunkt reifte in mir der Gedanke, es auch einmal zu versuchen. 

In der Folge brachte ich alles Wissenswerte über PBP in Erfahrung. Dies beinhaltete Reglement, Qualifikation, persönliche Ausrüstung und sonstige Tipps.

Die Brevets

Um an der Veranstaltung zugelassen zu werden, hat man verschiedene kleinere ,,Ausflüge’’, beginnend mit 200km bis hin zu 600km, zu bewältigen. Dies ist aber nur bei bestimmten, vom Veranstalter autorisierten Vereinen, möglich. In Deutschland sind dies u.a. die Vereine in ARA Hamburg, ARA Berlin, ARA München, ARA Nordbayern/Fränkische Alb, ARA Gießen, ARA Niederrhein und ARA Südschwarzwald Rheinfelden. 

Da ich aber von Hermann Kuhn erfahren hatte, dass der Ciclo Club Metz ebenfalls ein autorisierter Club ist, wollte ich dort meine Qualifikationen bestreiten. Somit entfielen für mich lange Anfahrtswege und Hotelübernachtungen, also auch enorme Kosten. Man radelt schließlich nicht eben mal 400 oder 600km am Stück, setzt sich entspannt ins Auto und fährt nach hause. 

Nach Kontaktaufnahme mit dem Vereinsvorsitzenden von Metz erhielt ich von ihm genaue Angaben über Startorte in Metz, Startzeiten, sowie die exakten Routenbeschreibungen über 200, 300, 400 und 600km. Da in Frankreich die Fahrtroute nicht ausgeschildert ist, hat man, anders als in Deutschland bei einer ausgeschilderten RTF, oftmals mit der Wegfindung so manches Problem. (Auch die Franzosen selbst). Die angegebenen Fahrtrouten übertrug ich auf besorgte Karten. So langsam begriff ich, worauf ich mich da eingelassen hatte. 

Die 200km – Qualifikation startete Mitte April morgens um 07:00Uhr. Von Metz ging es nach Verdun, Kriegsdenkmal 1. Weltkrieg, und über Damvillers Briey und wieder zurück nach Metz. 

Die 300km durften Anfang Mai um 04:00Uhr in Angriff genommen werden. Ziel dabei war, erste Erfahrungen beim Fahren in der Dunkelheit zu sammeln. Von Metz aus radelten wir tagsüber bei herrlichem Sonnenschein ins Bitscher Land nach Lemberg, La Petite Pierre und über Morhange zurück nach Metz. Auf den letzten Kilometern überfielen mich Gedanken wie: 
Was wird es bei den 400km geben, noch 100km mehr als jetzt? 
Was erst bei 600km, wenn es gilt an die 400km noch einen kleinen Marathon anzuhängen? 
Wird das Wetter weiterhin mitspielen? 
Diese Hoffnung erfüllte sich leider nicht, denn bei den 400km erwischte es uns ganz gehörig. 

Wir starteten nachmittags 14:00Uhr in Vigy, einem kleinen Ort ca. 20km nordöstlich von Metz. Die Route führte uns über Merzig, Bitburg, Vianden, durch die luxemburgische Schweiz, nach Bastogne in Belgien und über Metz wieder zurück nach Vigy.  
Wir fuhren bei 30° C Hitze und herrlichem Sonnenschein los. Für die Nacht waren 15° C vorhergesagt.  
Dem entsprechend war meine Ausrüstung gewählt. Als es aber vor Vianden anfing wie aus Eimern zu gießen, und die Temperaturen sich auf den Weg in den Keller machten ( 10° C), versagten Arm- und Beinlinge sowie der Regenschutz ihre Dienste. Zu allem Überfluß streikte auch noch unerwartet mein linkes Pedal, und zwar dahingehend, dass ich meinen Schuh nicht mehr ausklicken konnte. Schuh und Pedal waren für den Rest der Fahrt, ca. 240km, fest miteinander verbunden. Für mich als Linksfüßler ein nicht unerhebliches Problem. Bei jedem Halt an einer Ampel, Kreuzung etc. war Umdenken angesagt, und es galt gegen einen automatisierten Bewegungsablauf anzukämpfen. Meine 2 französischen Begleiter lächelten ein ums andere Mal, wenn ich trotzdem versuchte, meinen linken Fuß vom Pedal zu befreien. 

Noch größer war das Gelächter in einer kleinen Bar in Clervaux gegen Mitternacht, als 3 völlig durchnässte Radfahrer, einer davon nur mit einem Schuh, die Bar betraten, und um einen Stempel ins Routenbuch baten. Aber auch diese Fahrt hatte ein Ende, nämlich am anderen Morgen um 10:00Uhr in Vigy. 

Bei dieser ersten Nachtfahrt stellte ich fest, dass eine batteriebetriebne Leuchte für diesen Zweck nicht die richtige Ausrüstung darstellt. Ein Nabendynamo hingegen sorgt für eine optimale Ausleuchtung

Zur 600km Fahrt war Mitte Juni um 06:00Uhr wiederum Treff in Vigy. Diesmal führte uns die Route bei mehr als 30° C über Dieuze, Raon-L’Etape zum Col de la Schlucht mitten in die Vogesen. Sie wurden von Nord nach Süd bis kurz vor Mulhouse überquert. 
Anschließend ging es über die sogenannte ,,Bäderstraße’’ (Luxeuil les Bains, Bain les Bain, Vittel, Contrexville) nach Domremy la Pucelle, Geburtsort von Jeanne D’Arc, bis hoch nach Verdun und wieder über Longuyon, Briey und Metz zurück nach Vigy, wo wir wiederum morgens gegen 10:00Uhr eintrafen. Das Ziel, Qualifikation für PBP, war erreicht. Ich verabschiedete mich von meinen französischen Freunden, aber nicht ohne einen Treffpunkt mit ihnen am Start in Paris zu vereinbaren. 

Die nächsten drei Wochen verbrachte ich mit mäßigem Radfahren, um Kräfte zu sparen und die vorhandene Form zu konservieren.

Die Reise

Am 17. August begann schließlich mit der Anreise nach Paris das große Abenteuer. Nachdem ich Hotel und Startplatz gefunden hatte, wurden Rad und Ausrüstung von den Verantwortlichen überprüft und abgenommen. Meinem Start stand somit nichts mehr im Wege. Da ich hoffte, das Rennen unter 80 Stunden zu bewältigen, habe ich mich für die Startgruppe Montag abend 20Uhr Startzeit entschieden. Wie verabredet traf ich dort auf meine bisherigen französischen Begleiter aus Metz. Nach dem Startschuß ging es unter viel Applaus der zahlreichen Zuschauer auf die ,,Reise’’. Nach kurzem Einfahren durch die letzten Vororte von Paris wurde ein Höllentempo bis zur ersten Stempelkontrolle in Nogent-le-Roi angeschlagen. Es folgte das Abstempeln des Kontrollbuches und das Auffüllen der Wasserflaschen. Weiter ging es über Mortagne-au Perche (km 141) nach Villaines-la-Juhel (km 221), wo wir gegen 4 Uhr ankamen.  
Mittlerweile kehrte eine gewisse Routine ein. Erst Kontrollbuch abstempeln, Toilette, Essen, Wasserflaschen auffüllen, etwas Gymnastik und auf zur nächsten Kontrollstelle. Über Fougères (km 300) ,Tinténiac (km 360) und Loudeac (km 445) wurde, mit wechselnden Gruppen oder auch alleine, Carhaix (km 522) erreicht. Meine französischen Begleiter aus Metz hatte ich mittlerweile an einer Kontrollstelle verloren. Kurz hinter Carhaix traf ich auf einen Deutschen, der durch einen Fehler in seinem Mantel schon mehrere Plattfüße hatte. Gemeinsam fuhren wir auf den Roc Trèvezel, die höchste Erhebung der Tour. Beim Anstieg kam uns die Spitzengruppe bereits entgegen. Oben angekommen zogen wir die Bekleidung für die Abfahrt, Windjacke, Arm- und Beinlinge, an sowie die reflektierende Scherpe für die nahende Dunkelheit. Was nun folgte war für uns eine unangenehme Überraschung. Wer dachte, es geht von nun an nur bergab bis Brest, sah sich getäuscht.  
Giftige Steigungen wechselten mit sanften bis steilen Abfahrten. Selbst in Brest, nach Überquerung der Hafenbrücke, ging es steil bergauf.  
Körperlich ziemlich am Ende erreichte ich mit meinem Begleiter kurz vor 23:00Uhr die Kontrollstelle in Brest (km 615), den Wendepunkt unseres ,,Ausfluges’’. Glücklich die Halbzeit geschafft zu haben, legte ich mich nach Verpflegungsaufnahme, Dusche und Pflege des Allerwertesten für den Rest der Nacht zum Schlafen auf ein Feldbett. Nach dem Wecken gegen 6 Uhr dachte ich im ersten Moment ein Pferd hätte mich getreten; jedenfalls fühlte ich mich so. Aber nach einer Tasse heißen Kaffees und frischem Fluit mit Schinken kehrten die Lebensgeister schnell zurück. So gestärkt ging es mit der zweiten Luft auf den Weg zurück nach Paris.  Auf den nächsten 150km begegneten mir immer wieder kleine und größere Gruppen, die später gestartet waren.  

Bisher war ich von Wehwehchen verschont geblieben und das Wetter spielte auch wunderbar mit. Am späten Nachmittag ca. 30km vor Fougères bei km 880 begann mein linkes Knie aus heiterem Himmel zu schmerzen. Ich konnte einfach keinen Druck mehr aufs linke Pedal ausüben. Nur mit Mühe erreichte ich die Kontrollstelle, kurz vor der Aufgabe stehend. Ich begab mich sofort in ärztliche Behandlung.  Alle Kontrollstellen verfügten über einen Arzt und eine Werkstatt mit entsprechenden Ersatzteilen. 900km in den Beinen und nun die Aufgabe. An den bisherigen Kontrollstellen hatte ich reihenweise Radler gesehen, die aus gesundheitlichen Gründen aufgeben mussten. Sollte es das auch für mich gewesen sein? Gott sei Dank gab mir der Arzt nach der Untersuchung sein OK zur Weiterfahrt, aber nicht ohne mich vorher zum Mechaniker zu schicken. Der sollte mir nämlich meine linke Schuhplatte etwas versetzen. Kleine Ursache, große Wirkung! 

Eigentlich war ich mit der Absicht gestartet, auch die zweite Nacht komplett durchzufahren. Meinem lädierten Knie würden aber zwei Stunden Ruhe ganz gut tun. So fasste ich den Entschluss, mich bis Mitternacht schlafen zu legen. Nach dem Wecken nahm ich die letzten 300km in Angriff. Nach und nach besserte sich mein Knie, und ich verspürte keinerlei Schmerzen mehr. Auf der Fahrt zur nächsten Kontrollstelle nach Villaines-la-Juhel standen am Straßenrand Mädchen und Jungs und boten, wie überall auf der Rückfahrt, Kaffee und kleine Kuchen, sowie Obst oder Süßigkeiten an, um gegen ein kleines Entgelt ihr Taschengeld aufzubessern.  
Nachdem ich einen Becher Kaffe getrunken hatte und meinen Obulus entrichten wollte, bemerkte ich zu meinem Entsetzen den Verlust meines Geldbeutels. Auch intensive Nachsuche half nichts, er war weg. Ich konnte ihn nur während meines letzten Aufenthalts im Schlafraum in Fougères beim Ausziehen des Trikots verloren haben. In Villaines-la-Juhel angekommen schilderte ich mein Missgeschick. Der Vereinsvorsitzende wollte in Fougères anrufen und im dortigen Schlafsaal nachschauen lassen, ob sich mein Geldbeutel noch einfinden würde. Er würde einen Motorradfahrer der Motorradstaffel hinschicken, um meinen Geldbeutel zu holen. In der Zwischenzeit solle ich mich getrost schlafen legen. Ich würde geweckt werden, sobald der Motorradfahrer zurück sei. Seinen Worten vertrauend legte ich mich gegen 4 Uhr nieder. Um 9 Uhr wurde ich von alleine in der Sporthalle wach. Niemand außer mir war noch in der Halle. Die Besatzung des Vereins hatte mittlerweile gewechselt und mich hatte man in der Sporthalle vergessen.  

Am frühen Morgen war der Motorradfahrer aus Fougères zurückgekehrt, leider ohne meinen Geldbeutel. Man lieh mir zur Weiterfahrt 50 Euro, die ich bei der Ankunft in Paris zurückerstattete. Bis zum Ziel hatte ich noch ca. 220km zu radeln und ohne Geld zum Kauf von Verpflegung und Getränken ließ sich dies nicht bewerkstelligen. Je näher ich dem Ziel in Paris kam, desto mehr stellte sich ein Gefühl der Erleichterung bei mir ein. Manch ein Mitstreiter hatte zu diesem Zeitpunkt ganz andere Gefühle, welche man am hin- und herrutschen auf dem Sattel sehen konnte. Einen deutschen Radler hatte es besonders schlimm erwischt. Als ich zu ihm auffuhr, bat er mich, ihn bis zur letzten Kontrollstelle in Nogent-le-Roi zu begleiten. Er legte ca. 60km nur im Wiegetritt zurück, da er sich nur unter großen Schmerzen auf den Sattel setzen konnte. Später erfuhr ich, dass der Arzt ihn an der Kontrollstelle aus dem Rennen nehmen wollte. Auf eigene Gefahr hin erreichte er aber dennoch das Ziel.  
Kurz vor Paris kamen in einem Waldstück noch zwei bis drei giftige Anstiege, die zu bewältigen waren. Darauf wurde über kleinere Vororte der Zielort Guancourt erreicht. Nach der Durchquerung der Stadt und der Durchfahrt des großen Verkehrskreisels am Gymnase des droits le l‘homme, dem eigentlichen Zielort, kehrte ein Gefühl unbeschreiblicher Euphorie bei mir ein.  
Unter viel Applaus der anwesenden Zuschauer wurde jeder Teilnehmer als Sieger, auch als Sieger gegen sich selbst, gefeiert.  

Nach 71:15Std. war für mich trotz meines Malheurs, am Donnerstag gegen 19Uhr, der Endpunkt meiner Reise erreicht. Eine heiße Dusche im Hotel und eine große Portion Spaghetti belebten wieder Körper und Geist. Nach ausreichendem Schlaf begab ich mich am nächsten Morgen mit etwas ,,dicken Beinen’’ zum Ziel, wo immer noch Radler eintrafen. 
Am späten Nachmittag, beim sogenannten ,,Vin d’honneur’’ im Anschluß an die Siegerehrung, traf ich etliche Sportler, mit denen ich unterwegs in Kontakt gekommen war. Die Meinung war einhellig:  
,,In vier Jahren am gleichen Ort’’.

Fazit

Tolle Veranstaltung, jedoch nur mit guter Ausrüstung und einigen Kilometern in den Beinen, zu besuchen

Die Strecke

St-Quentin-en-Yvelines 0 
Nogent-le-Ro 57 57 
Mortagne-au-Perche    84 141 
Villaines-La-Juhel    80 221 
Fougères    90 311 
Tinteniac    55 366 
Loudéac    86 452 
Carhaix    77 529 
Brest    86 615 
Carhaix    81 696 
Loudéac    77 773 
Tinténiac    86 859 
Fougères    55 914 
Villaines-La-Juhel    88 1002 
Mortagne-Au-Perche    82 1084 
Nogent-Le-Roi    83 1167 
St-Quentin-En-Yvelines    58 1225

Streckenverlauf

Außer einer ca. 50km langen relativen Flachstrecke kurz nach dem Start bzw. vor dem Ziel nur Auf und Ab durch eine sehr schöne verkehrsarme Hügellandschaft. Es werden dabei über 10.000Hm gesammelt. Kurze giftige Anstiege liegen unmittelbar vor bzw. auf der Rückfahrt nach Brest. Sie erscheinen doppelt schwierig durch die bereits zurückgelegte Strecke von 580km.

Gesundheit

Teilweise sehr rauher Asphalt sorgt ständig für einen vibrierenden Lenker. Trotz doppelt gewickeltem Lenkerband oder Softgriffen kommt es zu länger anhaltenden tauben Händen. (CTS) Gleiches Symptom kann beim Treten durch ständige Druckbelastung an den Füßen auftreten. Bekannte Beschwerden melden sich auch im Sitzbereich.

Internet:

www.randonneure.de 
www.randonneur.de 
www.audax-club-parisien.fr

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